9. Mai 2022 - Nachgefragt - Anna Gyapjas

Sein Ensemble ist das diesjährige Orchestra in Residence bei Young Euro Classic, sein künstlerischer Input beflügelt 2022 nicht nur im Konzertsaal, sondern auch junge Talente im Meisterkurs. Der Geiger Hugo Ticciati ist für seinen ganzheitlichen Ansatz beim Musizieren bekannt – und für Genregrenzen überschreitende Konzertprogramme, die er mit seinen Kolleg_innen vom O/Modernt New Generation Orchestra entwickelt. Im Gespräch blüht der empfindsame Angloschwede hörbar auf, als er von seinen Plänen für die Residency-Konzerte erzählt.

Hugo Ticciati, das O/Modernt New Generation Orchestra ist das diesjährige Orchestra in Residence bei Young Euro Classic. Was empfinden Sie dabei?

Es ist eine unglaubliche Gelegenheit und große Ehre für uns, mehr als ein Programm zu spielen. Unsere Stärke ist ja, verschiedene Genres zu mischen und diese Residency erlaubt uns, dem Publikum mit unterschiedlichen Konzerten, Geschichten, Formaten und Musikrichtungen ein Gefühl für die Welt von O/Modernt zu geben.

Erzählen Sie uns mehr von diesem Gefühl!

Im Grunde begibt man sich mit der Residency auf eine Reise mit O/Modernt. Man besucht nicht nur ein Konzert, sondern lernt im Laufe mehrerer Abende die Facetten des Ensembles kennen, die je nach Repertoire variieren. Solch tiefer gehende Beziehungen zum Publikum zu entwickeln ist für mich das Herz von O/Modernt, und anhand einer solch großen Programmvielfalt kann das sehr gut gelingen.

Das Programm „Bartók, Brahms and the Roaming Spirits“ entführt in rumänisch-ungarische Klangwelten. Woher stammt Ihre Faszination für diese Region?

Ich habe einmal in Rumänien gespielt und erinnere mich noch lebhaft an die Bar, in der wir nach dem Konzert einkehrten, wo live gespielt wurde. Als Geiger einer „gypsy violin“ zuzuhören ist unbeschreiblich – diese Rhythmen, eine Kombination von Freiheit, ekstatischer Freude und Leidenschaft, aber auch so viel Leid und Tiefgründigkeit! Ich fühle mich generell hingezogen zu Volksmusik, weil sie sehr viel davon erzählt, wer wir sind und warum wir Musik machen. Ihre improvisatorische Beschaffenheit lässt sich nicht transkribieren, die Farben und Intonationen gehen dabei verloren – es sei denn, sie werden mündlich überliefert. Deshalb liebe ich auch den Umgang von Kodály, Bartók und Brahms mit dieser Musik: Sie ließen sich von dieser lebendigen Energie beeinflussen, sodass etwas völlig Neues entstehen konnte.

Miklós Lukács · Roma Traditional „Zöld az erdő“

Das zweite Programm, „Milestones“, verknüpft Musik aus gänzlich unterschiedlichen Zeiten, Räumen und Kulturen: Miles Davis trifft aufs Mittelalter, um es kurz zu sagen.

Ich liebe das! Das modale Element der Renaissance-Musik (sowohl harmonisch wie rhythmisch) ähnelt sehr stark dem des Jazz, es ist aber auch bei Strawinski zu finden. Abgesehen von dieser rhythmischen Ähnlichkeit ist es sehr interessant, Musik aus jener Zeit zu hören, in der der Persönlichkeitskult zu wachsen begann: Des Préz wird oft als der erste romantische Komponist genannt, weil er der Erste war, den die Menschen mit Namen kannten und der selbst eine gewisse Berühmtheit erlangte. Miles Davis und Strawinski haben ähnlich hohe Relevanz, sodass es auch eine kulturelle Verbindung gibt zwischen den Werken. Aber sie funktionieren auch auf der akustischen Ebene fantastisch zusammen. Denn eine gewisse Melancholie zieht sich durch alle Stücke.

Zur Young Euro Classic Residency gehört es auch, ein Format für jüngere Musiker_innen anzubieten. Was war Ihnen bei der Entwicklung des Next Generation Meisterkurses besonders wichtig?

Das Konzept hinter dem Kinderkonzert „Nils Holgerssons musikalische Reise um die Welt“ ist denkbar einfach: Die Teilnehmenden reisen musikalisch um die Welt und lernen Musikrichtungen kennen, die sie vielleicht noch nie erlebt haben. Von ernster und Volksmusik, über Jazz bis hin zu den Klängen des Karnevals: Wir wollen die Ohren der Schüler_innen für neue Welten öffnen, denn all diese Musiken drücken Gefühle, ja Aspekte der Menschlichkeit aus. Das ist eine unserer Stärken bei O/Modernt: Musikrichtungen zu verbinden, in Beziehung zu setzen, aber auch ihre Unterschiede zu feiern, weil sie alle ein Ausdruck dessen sind, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Worauf freuen Sie sich bei dieser intergenerationellen Zusammenarbeit am meisten?

Ich liebe es sehr mit Kindern zu arbeiten, weil sie mit so viel Frische, Neugier und Liebe an die Arbeit gehen. Ihre Energie bei den Proben und den Konzerten ist derart inspirierend, dass wir auch viel zurückbekommen. Ähnlich wie bei der symbiotischen Beziehung zwischen Publikum und Orchester gilt: Je mehr sie in unsere Welt eintauchen, desto mehr treten wir in ihre ein – sodass es immer mehr Gemeinsames gibt.

Was möchten Sie den jungen Menschen für ihr weiteres Leben mitgeben?

Ob es drei Noten sind oder eine ganze Symphonie: Mach es mit Liebe, Hingabe und Leidenschaft. Die Jugendlichen zu beteiligen und ihnen das Gefühl zu geben, dass es auf sie ankommt, ist mir sehr wichtig. Das ist weniger eine Lehrer-Schüler-Beziehung, wir bieten ihnen eher einen Raum für Selbstentfaltung: Sie erschaffen das Kinderkonzert – und wir begleiten ihren Prozess.

Herr Ticciati, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

Mehr zu dem Konzert „Brahms, Bartók and the Roaming Spirits“ mit Miklós Lukács am Cimbalom erfahren Sie hier.

Weitere Infos zu dem Konzert „Milestones“ mit Nils Landgren an der Posaune finden Sie hier.

Tickets für das Next Generation Kinderkonzert „Nils Holgerssons musikalische Reise um die Welt“ erhalten Sie hier.

 

Bildnachweis: © Kaupo Kikkas

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