Mit der Gründung des Chineke! Orchestras, einem primär aus Schwarzen Menschen und Menschen of Color bestehenden Orchester, wollte die Gründerin Chi-chi Nwanoku CBE die Wahrnehmung von Konzertbesucher_innen ändern – und einen Weg in die klassische Musik für Musiker_innen of Color schaffen. Für ihr Wirken wurde Nwanoku inzwischen der Ehrentitel des britischen Königshauses Commander of the Order of the British Empire (CBE) verliehen. Das entsprechende Nachwuchsorchester, das Chineke! Junior Orchestra besteht momentan aus 200 Musiker_innen. Charles Campbell-Peek ist einer von ihnen. Er ist 18 Jahre alt und spielt seit seinem siebten Lebensjahr Kontrabass. Wie viele People of Color in der klassischen Musik, die in Orchestern spielen, war auch er oft die einzige Person of Color im Orchester. Wie er zum Chineke! Junior Orchestra kam und was ihm das Musizieren in diesem Klangkörper bedeutet, hat er unserer Gastautorin Neneh Sowe erzählt.
Neneh Sowe (geb. 1997) spielt Geige, seitdem sie 10 ist – u.a. beim 2016 gegründeten The String Archestra. Dieses Streicherensemble ist in ähnlich empowernder Mission unterwegs wie das Chineke! Juniors Orchestra. Sowe studiert Musikwissenschaften in Berlin und arbeitet seit 2020 als freie Journalistin, u.a. für SWR und WDR. Sie ist Teil des Podcasts „Offene Ohren – Musik & Diversität“ und hat mit „BlaxMag“ ein Schwarzes Onlinemagazin gegründet. Für die taz hat sie ihr Aufwachsen auf dem Dorf aufgeschrieben, indem sie auch ihre Erfahrungen bei „Jugend musiziert“ reflektiert.
Neneh Sowe: Seit wann spielst du im Chineke! Junior Orchestra?
Charles Campbell-Peek: Zum ersten Mal wurde ich 2015 von Chi-chi Nwanoku, der Gründerin des Chineke! Junior Orchestra, eingeladen. Ein paar Jahre zuvor hatte ich ein Stipendium des London Music Fund erhalten und Chi-chi überreichte mir meinen Preis und gab mir das Stipendium. Wir sollten zusammen ein Duett für den Bürgermeister von London aufführen, aber das hat dann leider nicht geklappt. Stattdessen lud Chi-chi mich ein, bei der Gründung der Chineke!-Stiftung zu spielen. Die Chineke! Juniors spielten ihr Konzert zuerst, danach waren die Seniors dran. Ich spielte also beim allerersten Konzert der Chineke! Juniors im Jahr 2015 mit – und bin seitdem dabei.
Die Leute in der klassischen Musikindustrie rechnen nicht mit einem Orchester, das so aussieht wie unseres und haben vielleicht Ideen oder Meinungen, warum wir nicht dort sein sollten. So wird das Orchester auf natürlich und unweigerlich Wahrnehmungen verändern – und einen Zugang schaffen.
– Chi-chi Nwanoku CBE, Gründerin des Chineke! Orchestra & Chineke! Junior Orchestra
Wie hat es sich angefühlt, als du das erste Mal in solch einem Orchester gespielt hast?
Ich war sehr überrascht. Damals war ich zehn oder elf Jahre alt und wusste nicht, was mich erwartet, meine Mutter hat alle E-Mails bekommen und ich hatte in den führenden Jugendorchestern kaum People of Color gesehen. Ich ging also hin und dachte, es wäre ein ganz normales Orchester, aber dann sahen alle dort genauso aus wie ich. Alle von uns waren People of Color. Es war wirklich ein Privileg dabei zu sein und bereichernd so eine Erfahrung zu machen.
Wie kamst du dazu Kontrabass zu spielen?
Ich habe 11 oder 12 Jahre lang in einem Rugby-Verein gespielt und einer der Mitglieder ging auch auf meine Schule. Nach dem Training gingen wir ab und zu zu ihm nach Hause und er hatte ein Klavier. Damals war ich fünf Jahre alt, und ich habe gerne auf seinem Klavier gespielt. Dann bekam ich Klavierunterricht und ein Jahr später Geigenunterricht, weil der Mann meiner Klavierlehrerin Geige unterrichtete. Als sie wegzogen, musste ich mir einen anderen Ort für meinen Geigen- und Klavierunterricht suchen. Dann bewarb ich mich bei der Havering Music School. Aber noch bevor ich dort anfing, kam ich eines Tages vom Üben im Garten ins Haus, wo mein Vater einen Dokumentarfilm ansah, ich glaube, es war über Elton John. Und da war ein Typ in der Band, der Kontrabass spielte, und der drehte den Kontrabass herum. Also fragte ich, ob ich das auch spielen könnte, denn ich wollte den Bass einfach nur herumdrehen. So begann ich im September dieses Jahres mit dem Unterricht an der Havering Music School.
Spielst du auch in anderen Orchestern oder hast du in anderen Orchestern gespielt? Und wie waren deine Erfahrungen dort im Vergleich zu Ihren Erfahrungen mit dem Chineke! Junior Orchester?
Als ich Chineke! beitrat, spielte ich bereits im National Children’s Orchestra of Great Britain (NCO) und im National Youth String Orchestra of Great Britain, beide haben ein wirklich hohes Niveau. Im National Youth String Orchestra war ich die einzige Person of Color, im NCO gab es vielleicht zwei oder drei andere People of Color. Als ich zu Chineke! ging, war das Niveau überraschend hoch, und das ist es auch heute noch: Aktuell bin ich Solobassist im National Youth Orchestra of Great Britain (NYO) und im NYO gibt es derzeit einige von uns vom Chineke! Orchestra. Ich glaube, es sind zehn oder elf von uns.
Was bedeutet es für dich im Chineke! Junior Orchestra zu spielen? Gibt es etwas, das dir sehr wichtig ist?
Ich denke, das Wichtigste, nicht nur für mich, sondern für alle Mitglieder des Orchesters, ist die Bedeutung von Vielfalt und Integration. Denn Chineke! wurde gegründet, um Menschen aus ethnischen Minderheiten/ marginalisierten Menschen Chancen zu bieten. Und ich weiß, dass sie in der Welt der klassischen Musik übersehen wurden. Daher war es ein großes Privileg, in einem Orchester zu sein, in dem das nicht der Fall war, weil ich mich sofort einbezogen fühlte. Oft war ich, wie gesagt, die einzige Person of Color in einem Orchester. Ich empfand das nicht wirklich als unangenehm, aber ich weiß, dass es das für manche Leute sein kann. Und Chineke! hat diese Barriere der Inklusion abgebaut, weil alle gleich waren. Das hat auch dazu geführt, dass Menschen of Color im Publikum Lust kriegen, ein Instrument zu lernen und in einem Orchester beizutreten, weil es ihnen die Türen öffnet.
Bei Chineke! fühlt man sich wie zu Hause und kann nur an die Musik zu denken. Zum ersten Mal im Leben. Am Ende eines Projekts will sich normalerweise niemand verabschieden.
Dann gehen sie alle wieder dorthin zurück, wo sie wohnen und wissen, dass sie – auch wenn sie jetzt die einzige Person of Color in ihrem Orchester sind – wo immer sie auch leben, zur Chineke!-Familie gehören. Und das gibt ihnen weiteres Selbstvertrauen.
So kriegen sie das Gefühl, dass klassische Musik auch für sie da ist; dass sie in die klassische Musik gehören.
– Chi-chi Nwanoku
Planst du irgendwann auch im Chineke! Senior Orchestra zu spielen?
Ja, das Ziel ist Mitglied zu sein, wenn ich älter bin. In den letzten fast zwei Jahren habe ich bereits mit ihnen gespielt und war Teil von Projekten. Ich habe im Sommer 2021 bei den BBC Proms mitgespielt und werde auch diesen Sommer mit ihnen auf Tournee gehen. Ich denke, das Ziel ist so lange wie mögliche beim Chineke! Junior Orchestra zu bleiben, denn ich bin seit dem ersten Tag dabei.
Ihr werdet die Othello-Suite op. 79 von Samuel Coleridge-Taylor, einem bedeutenden Schwarzen Komponisten spielen. Vor einiger Zeit habe ich für einen Artikel recherchiert und konnte in deutscher Sprache kaum Informationen über ihn als Komponisten oder andere Schwarze Komponist_innen finden. Ich denke, es wird das erste Mal sein, und natürlich auch das erste Mal, dass ein Orchester von People of Color und Schwarzen diese Suite spielen.
Ich weiß, dass in den letzten ein oder zwei Jahren Samuel Coleridge-Taylor und Musik von Komponist_innen of Color und Schwarzen Komponist_innen in den großen Londoner Orchestern und in den großen Orchestern der UK sehr viel häufiger aufgeführt wurden. Zum Beispiel die Sinfonien und Klavierkonzerte von Florence Price oder auch von Samuel Coleridge-Taylor. Und diese Bewegung ist gut. Aber ich denke, sie sollte ganz Europa erfassen. Während wir also in Deutschland sind, möchten wir die Türen für People of Color in ganz Europa öffnen – und nicht nur in Großbritannien.
Neugierig geworden?
Tickets für das Konzert des Chineke! Junior Orchestra kriegen Sie hier.
Zum ausführlichen Konzertprogramm bitte hier entlang.